Scheinselbstständigkeit bei Frachtführern
Die Beauftragung von selbständigen Arbeitskräften ist reizvoll. Viele Unternehmen in der Beförderungs-Branche greifen bei Personalmangel und guter Auftragslage auf sogenannte „selbstständige Kraftfahrer“ zurück. Insofern diese jedoch kein eigenes Fahrzeug zum Einsatz bringen, ist hier Vorsicht geboten. Denn im Bereich der Güter- und Personalbeförderung gelten eigene Kriterien für die Einordnung, ob eine Arbeitskraft selbstständig oder abhängig (also sozialversicherungspflichtig) tätig wird.
I. KRITERIEN DER SOZIALVERSICHERUNGSTRÄGER
Folgenden Katalog haben die Sozialversicherungsträger zu diesen Berufsgruppen zur Abgrenzung zwischen abhängiger Beschäftigung und selbstständiger Tätigkeit erstellt:
1. Frachtführer:
Es ist davon auszugehen, dass Frachtführer im Sinne der §§ 407 ff HGB dann ein selbstständiges Gewerbe ausüben, wenn:
• sie beim Transport ein eigenes Fahrzeug einsetzen. Um ein eigenes Fahrzeug im Sinne der vorherigen Ausführungen handelt es sich nur dann, wenn es auf den Erwerbstätigen zugelassen ist und von ihm mit eigenen Kapitalaufwand erworben oder geleast wurde. Eine indirekte oder direkte Beteiligung an der Fahrzeug-/Leasingfinanzierung durch den Auftraggeber spricht gegen die Annahme einer selbstständigen Tätigkeit.
• und für die Durchführung ihres Gewerbes eine Erlaubnis nach § 3 GüKG oder die Gemeinschaftslizenz nach Artikel 3 der Verordnung 881/92/EWG besitzen.
• Dabei können sie auch als Einzelperson ohne weitere Mitarbeiter nur für ein Unternehmen tätig sein und dabei die Farben oder ein „Logo“ dieses Unternehmens nutzen.
• Voraussetzung ist allerdings, dass ihnen weder Dauer noch Beginn und Ende der Arbeitszeit vorgeschrieben wird und sie die – nicht nur theoretische – Möglichkeit haben, Transporte auch für weitere eigene Kunden auf eigenen Rechnung durchzuführen. Ob sie diese Möglichkeit tatsächlich nutzen, ist nicht entscheidend.
2. Busfahrer:
Omnibusfahrer, die keine eigenen Busse besitzen, jedoch für Busunternehmen Linienfahrten, Reiserouten, Schulfahrten etc. ausführen, sind auf Grund der damit verbundenen Eingliederung in die Betriebsorganisation des Busunternehmens und der persönlichen Abhängigkeit hinsichtlich Zeit, Dauer, Ort und Art der Arbeitsausführung als Arbeitnehmer zu beurteilen.
3. Taxifahrer:
Taxifahrer, die kein eigenes Fahrzeug verwenden, gehören auf Grund der damit verbundenen persönlichen Abhängigkeit zu den abhängig Beschäftigten. Taxifahrer mit eigenem Fahrzeug sind als Selbständige anzusehen, wenn Sie über eine Konzession verfügen. Eine Arbeitgebereigenschaft der „Taxizentrale“ gegenüber diesen Personen scheidet aus.
Entscheidend ist also nicht, wie viele verschiedene Auftraggeber ein Kraftfahrer hat. Auch eine ordnungsgemäße Gewerbeanmeldung spielt für die Einordnung keine Rolle. Bislang hat die Deutsche Rentenversicherung in keinem einzigen Fall eine Selbstständigkeit angesehen, wenn der Fahrer ohne eigenes Fahrzeug tätig wurde.
II. RECHTSPRECHUNG
Diese Kriterien werden auch von der Rechtsprechung weitgehend so durchgesetzt. So bestätigt das Bayerische Landessozialgericht mit der Entscheidung vom 9. Mai 2012 (Aktenzeichen L 5 R 23/12) die vorbenannten Kriterien. Ein Auszug aus dem Urteil:
„In Würdigung der dokumentierten Tätigkeit des Fahrers sprechen für eine abhängige Beschäftigung folgende gewichtige Tatsachen:
– das Unternehmen hat dem Fahrer für die insgesamt vier durchgeführten Fahrten das wesentliche Arbeitsmittel gestellt, nämlich den auf das Unternehmen des Klägers zugelassenen und für dieses versicherten Lkw,
– der Kläger hat die für den Betrieb dieses wesentlichen Arbeitsmittels notwendigen Betriebsstoffe wie Kraftstoff, Schmiermittel allein getragen,
– der Kläger hat die Kosten von Unterhalt und Wartung des LKW allein übernommen.
– der Fahrer ist in allen vier Fällen Routen gefahren, die der Kläger ihm nach Kundenaufträge des Klägers vorgegeben hatte,
– die Tätigkeit, also die Ausführung der Fahrten, hat sich von der Tätigkeit der angestellten Fahrer des Klägers nicht wesentlich unterschieden und
– der Fahrer ist nach Außen ebenso wenig als Selbstständiger aufgetreten, wie die Fahrer des Klägers.
Zwar hat der Kläger ursprünglich geltend gemacht, dass die Lkw-Nutzungskosten in die Vergütung für die Fahrten mit einkalkuliert gewesen sei. Hierfür lassen sich jedoch keinerlei Anhaltspunkte finden, es ist nicht nachvollziehbar, ob oder in welchem Umfange Anschaffungs- und Betriebsausgaben des Klägers auf den Fahrer im Verhältnis zu den ihm zuzuschreibenden Laufleistungen in irgendeiner rechnerischen Form einbezogen worden wären. Darüber hinaus hat der Fahrer im Ermittlungsverfahren glaubhaft angegeben, dass sich seine Vergütung an dem Lohn orientiert hatte, die die angestellten Fahrer des Klägers für entsprechende Fernfahrten erhalten hätten.
Demgegenüber sind im Falle der Tätigkeit des Fahrers zwar auch Elemente zu erkennen, die für eine Selbstständigkeit der Fahrertätigkeit sprechen, wie der Kläger in der Berufung zu Recht geltend macht. Dies sind
– das nicht vollständige in Anspruchnehmen der Arbeitskraft des Klägers,
– das nur fallweise Tätigwerden,
– die – wenn auch in geringem Maße – andere Vergütung als die der angestellten Fahrer,
– die Haftung für unrechtmäßiges Verhalten sowie
– das Fehlen der Entgeltfortzahlung im Urlaubs- und im Krankheitsfalle und
– die Anmeldung eines eigenen Transportgewerbe angemeldet und die Zulassung als Transportunternehmer.
Diese Gesichtspunkte treten jedoch in Rahmen der vorzunehmenden Gesamtabwägung hinter den erstgenannten Merkmalen der abhängigen Beschäftigung zurück.
Weil der Kläger seine Fahrertätigkeit berufsmäßig ausgeübt hatte und das Entgelt 400,00 €/Monat überstiegen hatte, kommt eine Beitragsfreiheit wegen geringfügiger Tätigkeit nach § 8 Abs. 1 Nr. 2 SGB IV nicht in Betracht. Der Fahrer ist damit in einem versicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnis für den Kläger tätig geworden.“
Im umgekehrten Fall (Vorhandensein einer GüKG-Genehmigung oder Gemeinschaftslizenz; eigene Fahrzeuge; eigene Disposition etc.) hat das Landessozialgericht Baden-Württemberg mit Urteil vom 23.02.2016 unter dem Aktenzeichen L 11 R 2091/13 entschieden, dass eine selbstständige Betätigung vorliegt.
III. EXISTENTIELLE FOLGEN
Die Prüfer der Deutschen Rentenversicherung sind angewiesen, neben der Lohnbuchhaltung auch die Finanzbuchhaltung der Unternehmen zu prüfen. Fällt ein solches Beschäftigungsverhältnis im Rahmen einer Betriebsprüfung der Deutschen Rentenversicherung auf, kann dies für den Auftraggeber existentielle Folgen nach sich ziehen. Dem Auftraggeber drohen dann in der Regel:
• Nachentrichtung der Sozialversicherungsbeiträge rückwirkend für 4 Jahre
• Strafverfahren wegen des Veruntreuens oder Vorenthaltens von Sozialversicherungsbeiträgen
• Nachentrichtung der Lohnsteuer
• Strafverfahren wegen Steuerhinterziehung
• Säumniszuschläge und Zinsen
• die „Selbstständigen“ werden zu Arbeitnehmern mit allen Rechten und Pflichten
IV. LÖSUNGEN
Auftraggeber und Auftragnehmer können sich vor Beginn oder unmittelbar nach Aufnahme der Tätigkeit Gewissheit verschaffen, indem sie gemäß § 7a SGB IV einen verbindlichen Statusfeststellungsantrag bei der Deutschen Rentenversicherung stellen. Die Entscheidung der Deutschen Rentenversicherung, ob es sich um eine selbstständige Tätigkeit handelt, ist verbindlich. Hiermit kann die Entscheidung der Deutschen Rentenversicherung mit Ihrer Mithilfe bereits rühzeitig in die richtige Bahn gelenkt werden. In kritischen Situationen sollte der Antrag unbedingt mit anwaltlicher Hilfe gestellt werden.
Alternativen zu einer Anstellung von Fahrern können auch folgende Methoden sein:
1. Einsatz von selbstständigen Fahrern mit eigenem Fahrzeug + entsprechender Genehmigung.
2. Einsatz von Leiharbeitnehmern. Diese sind bei dem verleihenden Unternehmen angestellt und somit auch bei den Sozialversicherungsträgern angemeldet
3. Die Beschäftigung von sog. „Minijobbern“